Jakob ist mein Freund. Wir kennen uns schon seit vierzig Jahren, haben viel zusammen erlebt. Wir haben Bergtouren bestritten, Radtouren gemacht und uns über die ganzen Jahre hinweg nie aus den Augen verloren. Jakob hatte von Anfang an seine eigenen Ideen, seine Direktheit Probleme anzusprechen habe ich immer bewundert, manchmal verspürte ich auch Neid mich das oftmals nicht zu trauen.

Mit kleinen Kindern im Haus gab es auch Zeiträume, in denen wir uns nicht so oft sahen – aber das Band riss nie ab und so blieb unsere Freundschaft über Jahrzehnte hinweg intakt, und wurde von Jahr zu Jahr stärker. Jakob hat nie geheiratet, sein Weg war die Wissenschaft, die Bildung. Familie und Kinder passten nicht in diese Lebensführung. Freundeskreis hatte er einen kleinen; er war niemand, der sich in großer Gesellschaft wohl gefühlt hätte.

Die Zeit geht so schnell vorbei, die eigenen Kinder wurden erwachsen, bald durften wir uns auf die ersten Enkelkinder freuen. Sie spielten im Garten und ich baute eine Schaukel für sie – ein Leben, wie man es sich als Opa nur wünschen kann. Jakob hatte all das nicht. Ich weiß er wollte es nie, nur machte ihm die Einsamkeit zunehmend zu schaffen. Er wirkte bei seinen Besuchen zusehends müde, wollte nie lange bleiben, um nicht zu stören.

Eines Morgens rief er mich an. Ich hörte nur noch ein Schluchzen am anderen Ende der Leitung. Er sei traurig, es gehe ihm schlecht. Ich rief die Rettung, sagte ihm er soll ihnen die Tür aufmachen. Doch er wollte nicht, bedrohte die Rettungskräfte mit Klagen. Seine Verbitterung bekam jeder zu spüren, ein freundliches Wort war ihm kaum mehr zu entlocken. Je mehr die Isolation zunahm, desto mehr fokussierte er sich auf mich. Schließlich war ich die einige Bezugsperson, die er noch hatte.

Meine Frau wurde zum Pflegefall, seitdem war ich an Zuhause gebunden. Wir wohnten am Land, er in der Stadt. Er verstand nicht, dass ich nicht immer Zeit hatte, wurde ausfällig und beschimpfte mich. Hilfe von außen lehnte er kategorisch ab, sein Gesundheitszustand verschlechterte sich immer weiter. Ich wollte ihm weiterhin helfen, für ihn da sein: auch zu einem Zeitpunkt, an dem ich schon längst wusste, dass ich unmöglich so weitermachen kann. Als er vor meinen Augen einem von mir organisierten Besuchsdienst die Tür vor die Nase knallte, war es mir schließlich zu viel. Ich erlitt einen Nervenzusammenbruch.

Hier im Spital wird mir dringend davon abgeraten mit Jakob in Kontakt zu treten. Es täte mir nicht gut. Stimmt sicher, nur frage ich mich trotzdem ständig wie es ihm geht. Er ist schließlich mein Freund! Hat es soweit kommen müssen? Ich denke ja, denn was hätte ich anders tun sollen, tun können?

perfekt-betreut.at

2 Gedanken zu “Hilfe bis zur Selbstaufgabe

Hinterlasse einen Kommentar